
Die Arzt-Patient-Beziehung in Zeiten gesellschaftlicher Herausforderungen
Was zählt? – Eine Annäherung unter Berücksichtigung der sozialen Neurowissenschaften
Catja Wyler van Laak
Zug: Paramon; 2020
Ethik gewinnt an Bedeutung, wenn sich die Ressourcen verknappen. Anstelle eines klassischen Vorwortes präsentiert die Autorin den Wortlaut des Genfer Gelöbnisses von 1948, welches eine Reaktion der medizinischen Gemeinschaft auf das moralisch-ethische Versagen vieler Ärzte im Dritten Reich bildete.
Essentiell findet sie die Verantwortung der Ärzteschaft, sich gegen äussere Eingriffe in ethische Grundprinzipien zu wehren. In der Tat: Wir laufen heute Gefahr, dass uns patientenferne Berufsgruppen wie Hochschulethikerinnen und -ethiker mit neuen Leitlinien überfluten. Wylers Werk ist in diesem Sinne ein Plädoyer dafür, dass die ärztliche Ethik in ärztlichen Händen verbleibt.
Im Weiteren untermauert sie dieses Postulat grosszügig mit wissenschaftlichen Belegen, welche zeigen, wie das medizinische Vertrauensverhältnis geartet sein muss, damit es im Sinne des Behandlungszweckes zielführend ist. Es folgt eine Diskussion der entsprechenden Regulationsmechanismen wie des Bindungshormons Oxytocin, der Empathie und Emotionserkennung, Erwartungshaltung und Hoffnungstheorie, der Placebo- und Konditionierungseffekte, welche das Immunsystem genauso betreffen wie die Affektregulation.
Der Kreis schliesst sich: Die Qualität einer guten Beziehung zwischen dem Arzt oder der Ärztin und dem Patienten respektive der Patientin gemäss Genfer Gelöbnis entspricht in vielen Punkten derjenigen, welche durch die Forschungsergebnisse der sozialen Neurowissenschaften nahegelegt wird.
Fazit: Ein grundlegendes Buch für alle therapeutisch Tätigen und jene, die es werden wollen.
Dr. med. Thomas Knecht,
Leitender Arzt